Bilanz 2023 und Ausblick
Wo führt der Weg bei der Mobilität in Sonthofen hin? Die umweltfreundlichste Art der Fortbewegung ist das Fahrradfahren. Sonthofen hat sich deshalb 2016 das Ziel gesteckt, Fahrradstadt zu werden und den Menschen so viele Anreize wie möglich zu bieten, ein Rad zu nutzen. Auf dem Weg dorthin ist viel passiert, was deutschlandweit anerkannte Experten wie Thiemo Graf vom Institut für innovative Städte als „exemplarisch gut“ einschätzen. Im Straßenverkehr wurden in 20 Projekte 1,8 Millionen Euro investiert, für Mountainbikefreaks gibt es jetzt im Altstädter Burgwald den ersten offiziellen Singletrail im Oberallgäu. Ein Quantensprung, da vielerorts Bedenken gegen solche Angebote nicht zu überwinden sind. Wie viel Aufwand in der Verwaltung, in Vereinen und Organisationen bei diesen Projekten betrieben wird und bei welchen Herausforderungen es noch holpert, erkennen Außenstehende kaum. Eine Bilanz. Und zwei Ankündigungen von Bürgermeister Christian Wilhelm: 2024 wird ein Schmiedewettbewerb für eine Radskulptur ausgeschrieben, die als unübersehbares Zeichen für die Radstadt Sonthofen aufgestellt wird. Und es sollen in einer App sämtliche Angebote moderner Mobilität in der Stadt gebündelt werden, über das Fahrrad hinaus möglicherweise auch das neue Car-Sharing-Angebot mit drei E-Autos.
Eine Umfrage unter 39 Radfahrern in der Sonthofener Innenstadt. An den zwei regnerischen Novembertagen sind fast ausschließlich Dauerradler unterwegs, die alle sofort etwas zu sagen haben zu der Frage: Wie radelt es sich in der Stadt?
Teresa Fach, Zweitwohnungsbesitzerin in Sonthofen aus München:
„Ich habe hier kein Auto und bin nur mit dem Rad unterwegs. Ich bin begeistert über die vielen überdachten Stellplätze, das ist komfortabel. Angenehm sicher fühle ich mich in den von Autos abgegrenzten Radler-Bereichen vor Ampeln. Davon sollte es mehr geben.“
Die häufigsten Übereinstimmungen der Meinungen: Strecken, auf denen die Radfahrer sich nicht sicher fühlen, meiden sie. Daher wünschen sie sich so viele Radwege, rot markierte Fahrradstreifen und freigegebene Fußwege wie möglich. Die Fahrradstraße in der Schillerstraße findet wie viele andere ein 38-Jähriger, der täglich zur Arbeit radelt, „super gelungen, aber zu kurz“. Die fürs Radeln freigegebene Fußgängerzone erleichtert nach allgemeiner Meinung das Erreichen von Geschäften. Gleichzeitig sagen einige, andere Radler seien dort zu schnell unterwegs. „Das fällt leider auf alle zurück“, sagt eine 29-Jährige, die ihre Tochter im Fahrrad-Anhänger dabeihat.
Thiemo Graf, Geschäftsführer des Instituts innovativer Städte
„Sonthofen ist anderen Städten um Jahre voraus.“
„Besser geht es immer“, sagt Thiemo Graf, Geschäftsführer des renommierten Instituts für innovative Städte. Sonthofen sei anderen Kommunen dennoch „um Jahre voraus“ mit seinem Radverkehrskonzept. Nicht umsonst würden die bisher umgesetzten Projekte der Stadt auf den ersten Seiten eines Leitfadens des Bundesverkehrsministeriums als „exemplarisch gut“ dargestellt. Es sei von Anfang an erkannt worden, dass bei allem, was man tue, Radfahren optisch und gefühlt erlebbar gemacht werde müsse.
Wer bei Google „Radstadt“ eingibt, stößt zunächst auf Radstadt, einen kleinen Ort im österreichischen Pongau. Sofort danach erscheint die „Radstadt Sonthofen“ und es geht nicht um einen Ortsnamen, sondern um Inhalte. „Wir wollen nicht nur fahrradfreundlich sein, wir wollen die Radstadt in Bayern werden.“ Bürgermeister Christian Wilhelm peilt mit Unterstützung des Stadtrats ein großes Ziel an. Es gehe nicht nur um den innerstädtischen Verkehr, sondern der Tourismus soll genauso gut eingebunden sein. „Ums große Ganze also“, sagt Wilhelm.
Christian Wilhelm, Bürgermeister
„Wir wollen die Radstadt in Bayern werden.“
Und genau bei dieser Synergie von Alltagsradverkehr und Fremdenverkehr ist Sonthofen aus Sicht von Matthias Dießl „überdurchschnittlich gut unterwegs“. Der Fürther Landrat ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen mit 131 Mitgliedern und weiß daher, wo etwas gut läuft und wo nicht. Bei der Frage nach einem bemerkenswerten Detail der Sonthofer Aktivitäten fällt ihm sofort die Förderung von Lastenfahrrädern ein, die Sonthofen als eine der ersten Kommunen angeboten hatte.
Um dem Ziel Radstadt nahe zu kommen, hat Sonthofen in den vergangenen Jahren viel Geld investiert. In eine Radstraße zum Beispiel, den Umbau einer Kreuzung, farbig markierte Radstreifen, überdachte Abstellanlagen. Bei allem und jedem muss eine kommunale Verwaltung Vorschriften beachten, weiß der Leiter des Baureferats Dr. Hauptstock-Buhl aus arbeitsreicher Erfahrung. Aber, so sagt er rückblickend: „Umso mehr man weiß über gesetzliche Regeln, Haftungsfragen, Hürden, desto weniger wird oft gemacht, weil es eben mühselig ist. Wir haben aber beschlossen, einfach loszulegen.“
1,8 Millionen Euro hat die Stadt seit 2016 in die Radstadt investiert, davon rund 1,1 Millionen Euro an Förderung akquiriert, wobei Straßensanierungen nicht nur Radfahrern zugutekommen – und bei jeder Maßnahme dazugelernt: Bei überdachten Abstellanlagen wurde anfangs jeder einzelne Platz finanziell von Zuschussgebern gefördert „und da haben wir aus heutiger Sicht die Plätze zu eng aneinandergereiht, um so viel wie möglich herauszuholen.“
Dr. Johannes Hauptstock-Buhl, Leiter des Sonthofer Baureferats
„Umso mehr man weiß über gesetzliche Regeln, Haftungsfragen, Hürden, desto weniger macht man oft. Wir haben einfach losgelegt.“
Auf die erste Fahrradstraße im Landkreis Oberallgäu ist man in der Stadtverwaltung durchaus stolz, das nächste Teilstück von der Schillerstraße bis zur Unterführung der B308 wurde in den Haushaltsentwurf für 2024 aufgenommen. Ein weiteres Teilstück ist bei Anliegern umstritten. „Wenn man beim Verkehr etwas im Bestand unternimmt, gibt es immer Ärger“, nimmt es Hauptstock-Buhl gelassen.
Radeln in der Fahrradstraße ist sicher. Die Polizei musste nur einen Unfall bearbeiten, bei dem eine Autofahrerin die Vorfahrt eines Radlers missachtet habe.
Sonthofen ist die einzige Stadt im Oberallgäu, die Radeln offiziell in der Fußgängerzone erlaubt und Radfahrer nutzen diese Freiheit. Die Verwaltung stellte an drei Schönwettertagen vier Kameras in der autoverkehrsfreien Zone auf und zählte bei 29.000 Fußgängern 14.500 Radler. Anlass für die Aktion waren eingehende Beschwerden, Radler seien in der Fußgängerzone zu schnell und manchmal rücksichtslos unterwegs. Das Ergebnis der „Konfliktanalyse“ bestätigt dies nicht: „Tatsächlich gab es Konflikte nur im Promillebereich“, erklärt Hauptstock-Buhl. Der Verkehrsexperte der Sonthofer Polizei, Robert Schmidt, sagt dazu: „Die meisten Radfahrer halten sich zwar nicht genau, doch annähernd an die Schrittgeschwindigkeit. Unbelehrbare hat man immer, dies ist bei den anderen Verkehrsarten ja auch der Fall.“
Insgesamt, hat eine Auswertung durch die Polizei ergeben, ist seit der Deklaration zur Fahrradstadt kein Trend bei den Unfallzahlen mit Radfahrern auszumachen. Es geht von Jahr zu Jahr auf und ab.
Neben den Radfahrern im Straßenverkehr gibt es „Genussradler“ und „Radfreaks“ – und beiden Zielgruppen nimmt sich Sonthofen an. Für sportliche Kinder und Jugendliche hat der Mountainbike-Verein Allgäu im Altstädter Burgwald zwei Singletrails angelegt. Singletrails sind enge unbefestigte Pfade, auf denen es bergab geht. Die Stadt als Grundstücksbesitzer hat einen „Gestattungsvertrag“ abgeschlossen. Um die Verkehrssicherheit an der Einmündung zur Kreisstraße zu garantieren, wurden eigens Veränderungen vorgenommen. „Das ist insgesamt ein etwas zähes Thema“, sagt Birgit Gabriel als Chefin der Sonthofer Tourist-Info im Hinblick darauf, dass vielerorts Grundstücksbesitzer Bedenken gegen das freie Mountainbiken haben.
Vom Verfahren her ähnlich wie bei den Singletrails läuft das Ganze im neuen Bike-Park im Tannachwäldchen: Die Stadt hat 140.000 Euro zur Verfügung gestellt, davon hat das Bayerische Umweltministerium 100.000 Euro übernommen. Mitarbeiter des städtischen Bauhofs haben den Bike-Park eingerichtet, der Mountainbike-Verein betreut ihn – und jugendliche Radler können sich austoben. „Naturbiken“ ermöglicht Sonthofen des Weiteren „Übers Bildstöckle“, auch wenn dies kein Singletrail ist, sondern Feld- und Waldwege ausgeschildert sind.
Birgit Gabriel, Leiterin der Tourist-Info Sonthofen
„Beim Angebot für Mountainbiker läuft es noch etwas zäh.“
Gabriel kommt natürlich auch auf ein „Leuchtturmprojekt“ für sportbegeisterte Radler zu sprechen, das „ein voller Erfolg“ wurde. Ein erster Anlauf mit dem „Zötler Gold Race“ 2019 war nicht wirklich in Fahrt gekommen, da nicht alle genutzten Straßen während des Rennens gesperrt waren dies zu Problemen mit dem normalen Verkehr geführt hatte. Den Veranstaltern des „Rad Race 120“ gelang es, Vollsperrungen zu organisieren und so konnten sich 2.200 Teilnehmer auf der 126 Kilometer langen Strecke mit 2.230 Höhenmetern austoben. Auch hier war der enorme Aufwand, den die Stadtverwaltung im Hintergrund betrieb, kaum wahrnehmbar: Zehn Fachbereiche, vom Bauhof über das Ordnungsamt bis hin zu den Stadtwerken, brachten sich ein, damit alles reibungslos über die Bühne ging. Die Stadt subventionierte die Veranstaltung mit 25.000 Euro und wird auch den nächsten Race 2024 unterstützen – zu dem schon jetzt bis zu 3.500 Teilnehmer erwartet werden.
Geradezu zum Selbstläufer wurde ein erheblich kleineres Projekt, das aber eine für Sonthofen wichtige Zielgruppe bedient: Das „Stadtradeln“ für die Genussradler unter den Touristen. Zehn City-Bikes, die 2020 mit einem überschaubaren Budget von 6.000 Euro angeschafft wurden, sind fast ständig ausgebucht, sofern das Wetter zu Zweiradausflügen einlädt. Und da „die Leute überraschend pfleglich damit umgehen“, hält sich der Unterhaltsaufwand mit etwa 2.000 Euro pro Jahr in Grenzen. Viele dieser Ausflügler nehmen aus der Tourist-Info Postkarten mit aufgedruckten Touren mit. „Die Nachfrage nimmt derart zu, dass wir zweimal im Jahr nachdrucken lassen müssen“, sagt Gabriel.